Unterschätzte Inflationsdebatte?

Marktkommentar, September 2020

Unterschätzte Inflationsdebatte?

Der Markt fokussiert über die Zeit auf verschiedene Themen, je nachdem was gerade Schlagzeilen macht. Ein Marktthema, das jüngst etwas in den Hintergrund getreten ist, ist die Inflation. Unser anlagestrategischer Ansatz ist es, auch Themen zu analysieren, die gerade nicht im Vordergrund stehen, denn dadurch werden diese vielleicht unterschätzt. Die Inflationsdebatte könnte in den nächsten Monaten zunehmen, besonders bei ansprechenden Wirtschaftsdaten. In diesem Fall könnten Firmenanleihen gegenüber Staatsanleihen gewinnen. 

Angesichts der dieses Jahr gesunkenen Wirtschaftsaktivität wegen der Ausbreitung des Coronavirus mussten die globalen Zentralbanken eine massive geldpolitische Konjunkturstimulierung beginnen. Diese könnte früher oder später eine Inflationsdebatte auslösen: 

Wird eine so enorme Ausweitung der Zentralbankbilanzen langfristig die Inflation erhöhen? Wird eventuell nicht zu viel Geld (über die Liquiditätsflutung der Zentralbanken) zu wenige Güter «jagen»? Wenn die Nachfrage wieder deutlich zunimmt, könnte diese zu Preiserhöhungen, also zu Inflation, führen?

Wenn man davon ausgeht, dass die Inflationsdebatte uns demnächst wieder beschäftigen wird, ist ein Blick zurück von Vorteil. Nach der Lehman-Pleite im September 2008 begann die US-Zentralbank Fed ebenfalls eine enorme Liquiditätsflutung der Finanzmärkte und der Wirtschaft. Bis zum Frühjahr 2020 erhöhte sich dadurch die monetäre Basis (Basisgeldmenge) inklusive der Reserven der Geschäftsbanken bei der Fed um rund 12 % pro Jahr; die Fed-Bilanzsumme stieg um rund 660 %. Die Inflation der USA erhöhte sich in diesem Zeitraum aber durchschnittlich nur um rund 1,6 % pro Jahr. Nach der Theorie müsste eine derartig starke monetäre Ausweitung bzw. Liquiditätsflutung, wie sie die Fed durch ihr «Quantitatives Easing» (QE) seit 2008 durchführte, zu einer stärkeren Inflationszunahme geführt haben. Doch die Geldausweitung und die Inflationserhöhung müssen keine 100 %-Korrelation aufweisen, da auch andere Faktoren die Inflation beeinflussen. Statistische Untersuchungen zeigen, dass die Geldmengenerhöhung oft mit der früheren Inflation mehr korreliert als mit der zukünftigen Inflation. Auch darf nicht vergessen werden, dass die Zentralbank zwar die Basisgeldmenge, aber nicht die gesamte Geldmenge bzw. das ganze Geldangebot kontrollieren kann! Die gesamte Geldmenge wird von allen Wirtschaftsakteuren zusammen kontrolliert. Diese können jederzeit ihre Bankeinlagen erhöhen oder reduzieren, während z. B. die Fed die Reserven der Banken über Wertschriftenkäufe bei den Banken beeinflusst.

«Die Inflationsdebatte dürfte in einigen Monaten oder Quartalen wieder intensiver geführt werden.»

Gérard Piasko, Chief Investment Officer

Was den Unterschied ausmacht, wird als «Geld-Multiplikator» bezeichnet. Das bedeutet, dass in jedem Land die Bevölkerung über Bankeinlagenänderungen die Geldpolitik der Zentralbank erhöhen oder eben auch reduzieren kann. Aus diesem Grund kann es Unterschiede zwischen der Entwicklung der Finanzmärkte (steigende Aktien und Obligationen) und jener der Realwirtschaft geben. Tatsächlich zeigt sich, dass seit 2008 dieser Geld-Multiplikator deutlich zurückgegangen ist – und genauso war es auch in den letzten Monaten. Man kann sogar sagen, dass die Zentralbanken realisiert haben, dass – weil sich die Bevölkerung betreffend Geld-Multiplikator so vorsichtig verhält – sogar noch mehr Geldflutung als früher betrieben werden muss. Zum einen, um die aktuell zu tiefe Inflation bzw. die Deflationsrisiken zu bekämpfen; zum anderen, um das historisch verhaltene Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Die von US-Zentralbankchef Jerome Powell anlässlich der Zentralbank-Konferenz von Jackson Hole jüngst annoncierte «Tolerierung einer Inflation über 2 %» bestätigt unsere Ansicht: Dass die US-Leitzinsen noch lange Zeit auf ihrem Rekordtiefstand verharren dürften. Die jüngst deutlich angestiegene Sparquote z. B. der US-Bevölkerung zeigt uns, wie vorsichtig die Haushalte reagieren. Die ausgeprägte Geldflutung der Zentralbank hat demnach ihre Berechtigung.

Auch die Bankenregulierung hat diesen Geld-Multiplikator beeinträchtigt und die erhöhte Liquiditätsflutung durch Zentralbanken nötig gemacht: In Phasen wirtschaftlicher Unsicherheit steigen die Kreditrisiken. Die Banken dürfen seit der verschärften Regulierung nach 2008 weniger riskante Anlagen halten, weshalb sie mehr Staatsanleihen (und oft weniger Kredite) in der Bilanz führen. Es würde uns nicht überraschen, wenn es für die Zentralbanken weiter schwierig sein wird, die Inflation auf das gewünschte Niveau von knapp 2 % zu bringen. Wie erwähnt wurde seit 2008 sogar in den USA nur eine Inflation von etwa 1,6 % im Jahresdurchschnitt erreicht. Einige Gründe sprechen aber dennoch dafür, dass die Inflation von den Märkten etwas unterschätzt wird und Staatsanleihen volatiler werden könnten:

  1. Die Rezession von 2020 dürfte zwar schärfer als jene der Finanzkrise sein, aber dank Rekord-Konjunkturstimulierung auch rascher eine Erholung zeigen.
  2. Die Zentralbanken sind jetzt eher geneigt, eine höhere Inflation zuzulassen, da sie in den letzten Jahren geringer als erwartet ausfiel.
  3. Die steigende soziale Ungleichheit führt besonders in den USA zu einem Anstieg der Minimumlöhne und der Lohnkosten, da – besonders bei einem demokratischen Wahlsieg in den US-Wahlen im November 2020 – die soziale Ungleichheit zu bekämpfen politisch wichtiger wird.
  4. Die Regierungen werden über fiskalische Massnahmen zusätzlich die Konjunktur stimulieren und dadurch die Budgetdefizite erhöhen. Dies kann Regierungsobligationen belasten. 

Konklusion: Die derzeit noch nicht aktuelle Inflationsdebatte könnte in einigen Monaten oder Quartalen intensiver geführt werden. Dies kann zu Portfolio-Umschichtungen bei institutionellen Investoren von Regierungs- zu Unternehmensanleihen führen.

Gérard Piasko

Gérard Piasko

Gérard Piasko leitet als CIO das Anlagekomitee der Privatbank Maerki Baumann & Co. AG. Zuvor war er über viele Jahre CIO bei Julius Baer, bei Sal. Oppenheim und bei der Deutschen Bank.

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Redaktionsschluss: 10. September 2020

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